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von Andreas Bellinger, NDR.de

Die Premiere hatte er sich anders vorgestellt. Nervös war Paul Seguin sowieso auf dem fremden Terrain im Studio des NDR Sportclubs. Aber dann das: Ausgerechnet sein Club, der VfL Wolfsburg, grätscht dem hoffnungsvollen Nachwuchs-Kicker kurz vor seinem Auftritt am Sonntagabend mächtig dazwischen. Plötzlich stehen nicht der 21-Jährige, der seinen Vertrag bei den „Wölfen“ kurz vor Weihnachten bis 2020 verlängert hat, und sein berühmter Vater im Fokus. „Die Legende von Paul und Paule“ gerät in den Hintergrund, weil der VfL seinen Cheftrainer Valérien Ismaël rausgeschmissen hat. Den Coach, der Paul Seguin schon in der U23 gefördert und in dieser Saison schließlich zum Stammspieler in der Bundesliga befördert hat.

Seguin vermisst Förderer Ismaël

„Es ist sehr bitter; ich habe ihn sehr geschätzt“, sagt der schon mit elf Jahren aus Stendal nach Wolfsburg gewechselte Seguin. Damals war er noch täglich die rund 90 Kilometer gependelt: morgens Schule daheim in der Altmark, nachmittags Training in der Auto-Stadt. „Manchmal ist er erst abends um zehn wieder zu Hause gewesen“, sagt Vater „Paule“ Seguin, der eigentlich Wolfgang heißt und nach eigener Darstellung wohl „größter Kritiker“ seines Sprösslings ist. Bei den Heimspielen sitzt er für gewöhnlich auf der Tribüne – und mäkelt hinterher. „Was er sagt, nehme ich mir schon zu Herzen“, sagt Paul, der Jüngste von fünf Brüdern, „auch wenn es manchmal nicht einfach ist.“

Papa macht Alarm

Das war schon früher so. „Gelegentlich hat Papa bei Spielen an der Seite Alarm gemacht“, sagt Seguin Junior. Der Senior schluckt und schweigt. Es ist nicht einfach, wenn der Vater im selben Sport eine Legende ist. „Natürlich bin ich stolz auf ihn. Es ist schon grandios, was er geschafft hat“, sagt der Wolfsburger „Sechser“ über den 21-maligen Nationalspieler, der in der DDR-Oberliga die meisten Einsätze (380) und die meisten Spiele in Serie (219 zwischen 1971 und 1979) für den 1. FC Magdeburg gemacht, und mit dem FCM im Pokalsieger-Wettbewerb den Europacup gewonnen hat. Als einziger Ost-Club überhaupt.

Mutter Kerstin platzt der Kragen

Noch heute nennen ihn alle nur „Paule“. „Ich weiß selbst nicht mehr, dass ich Wolfgang heiße“, sagt der 71-Jährige und erinnert sich grinsend an die Zeit bei seinem Heimatverein Einheit Burg. Der Legende nach soll der Steppke damals den Einheit-Torwart über die Maßen bewundert haben – und der hieß Paule. Diesen Spitznamen trugen später auch die vier Söhne des dreimaligen DDR-Meisters, fünffachen Pokalsiegers und Torschützen zum 2:0-Endstand beim Europacup-Triumph gegen den AC Mailand. Keiner blickte mehr durch – bis Mutter Kerstin der Kragen platzte und sie ein Machtwort sprach: „Wenn wir noch einen Sohn bekommen, dann heißt der wirklich Paul.“

„Ein Weichei ist er nicht“

„Nesthäkchen“ Paul (Mutter Kerstin: „Er hat bei seinen Brüdern eine harte Schule durchgemacht. Ein Weichei ist er nicht.“) bastelt nun an seiner eigenen Karriere. „Er kann das Spiel gestalten, aber er muss noch mehr Ballbesitz bekommen“, sagt der Vater, der mit Pauls technischem Vermögen und seiner Laufbereitschaft ziemlich zufrieden ist. Auch als Rechtsverteidiger sieht sich sein Sohnemann, der mit der A-Jugend des Werksclubs 2013 deutscher Meister geworden ist.

Feuertaufe mit Heimpleite

Der „echte“ Paul: Seguin junior im Dress des VfL Wolfsburg.

Beim 1:2 gegen Werder Bremen fehlte er zuletzt zwar, aber sein Weg in der Bundesliga zeigt stetig nach oben. Die Feuertaufe in der deutschen Eliteliga erlebte er am 23. April 2016 bei einer 0:2-Heimpleite gegen den FC Augsburg, als er in der 85. Minute für Daniel Caligiuri kam. Premiere als Torschütze feierte er am 13. Spieltag der laufenden Saison bei der 2:3-Heimniederlage gegen Hertha BSC. Im selben Spiel folgte aber auch der erste Platzverweis. Sein bis dato einziges Länderspiel bestritt er im U21-Nationalteam im November 2016 in Berlin gegen die Türkei (1:0).

Mit Schwindelei zur WM

Wolfgang Seguin war eine Größe des DDR-Fußballs. Später reüssierte er mit einer florierenden Gebäudereinigungsfirma, die jetzt ein Sohn führt. 1972 stand er in dem Team, das in München die olympische Bronzemedaille holte. Zur Weltmeisterschaft 1974 kam „Paule“ allerdings nur, weil er Auswahl-Trainer Georg Buschner beschummelt hatte. „Eigentlich hätte ich nicht mitfahren dürfen. Nach dem Sieg gegen Milan hatte ich irre Schmerzen in der Wade. Nix ging wirklich.“ Der Schwindel flog aber erst im WM-Quartier in Quickborn auf. Der Mittelfeld-Staubsauger durfte nur einmal spielen, beim 1:1 gegen Chile. Beim 1:0 gegen Beckenbauer & Co. sah er im Hamburger Volksparkstadion nur zu, als seine Clubkameraden Jürgen Sparwasser und Martin Hoffmann für Furore sorgten.

Wie der Vater, so der Sohn

Wie der Vater, so der Sohn hat es auch in der Fußball-Bundesliga schon einige Male gegeben. Aus norddeutscher Sicht sind es beispielsweise Hans-Jürgen und Philipp Bargfrede – oder auch Fred und Felix Klaus, der bei Hannover 96 unter Vertrag steht. „Hansi“ Bargfrede bestritt für den FC St. Pauli 15 Bundesliga-Spiele und erzielte ein Tor. Sohn Philipp zog es aus dem heimatlichen Zeven in die andere Richtung nach Bremen, wo er seit 2004 für Werder 143 Bundesligaspiele (vier Tore) absolviert hat.

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